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"Stuttgarter Nachrichten": Konsument 2020
Das Zukunftsinstitut in Kelkheim veröffentlicht regelmäßig Studien über künftige Konsumentwicklung. Die Prognosen für 2000 und für 2010 sind im Wesentlichen eingetroffen. Wie die Szene in zehn Jahren aussehen könnte, verrät die jüngste Studie Konsum 2020. Hier die wichtigsten Trends.
Von Sabine Klotzbücher

Was wird die Konsumenten 2020 von denen heute unterscheiden?

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Konsum bis 2020 immer stärker personalisieren wird. Mit der Änderung der Gesellschaft und ihrer Werte wird er sich viel stärker als bisher den persönlichen Bedürfnissen der einzelnen Verbraucher anpassen, davon ist Corinna Langwieser, Mitautorin der Studie, überzeugt. Auf diesem Markt wird es weniger um die Wahl aus tausend Möglichkeiten gehen, sondern um die Anpassung der Produkte an die Wünsche der Käufer. So wird es mehr Produkte und Dienstleistungen geben, durch deren Erwerb die Käufer mehr Zeit sparen. Ein weiteres Merkmal der Personalisierung ist die Hilfestellung bei der Auswahl. Anbieter und Kunden werden viel intensiver als heute miteinander kommunizieren.

Was unterscheidet einen Trend von einer Mode?

Moden, das sind Ideen, die ein Hersteller mal auf den Markt werfen kann, die schnell zünden, aber auch schnell wieder verschwinden. Ein Trend entwickelt sich allmählich und kennzeichnet das Konsumverhalten über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

Was bedeutet der How-To-Trend?

Der Verbraucher 2020 wird nicht nur emotionaler, sondern auch kreativer und partizipativer sein, das heißt, er will genau wissen, was im und hinter dem Produkt steckt. Nach dem Zeitalter des Massenkonsums tritt immer stärker das Bedürfnis nach Anleitung und nach einem tieferen Produktverständnis in den Vordergrund. Dieser Trend ist eng verbunden mit dem Trend zur Dialogisierung: Darunter verstehen die Autorinnen von Konsum 2020 die aktive Auseinandersetzung von Anbietern und Kunden mittels Blogs oder Twitter. Vonseiten der Hersteller bedeutet Dialogisierung, dass sie den Verbraucher nicht ins Detail ausfragen, sondern versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen, so die Autorinnen der Studie. Auch in Marketingaktionen werden sich die Kunden stärker einbringen. Sie entscheiden mit und können wirklich Einfluss nehmen – etwa auf die Entwicklung von Produkten, aufs Design und auf die Kommunikation.

Was steckt hinter Mood Manufacturing?

Mood Manufactoring heißt: Stimmung erzeugen. Die Kultur des Erlebniskonsums, wie wir ihn heute kennen, wird neue Wege einschlagen zwischen Vernunft, Lust und Moral. So müssen zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen verstärkt die Sinne des Konsumenten ansprechen, aber trotzdem individuell, nachhaltig und situativ sein. Vorläufer stehen heute schon in den Regalen: zum Beispiel Tees mit dem Namen „Fühl’ dich wohl“, „Fühl’ dich stark“. Ein anderes Beispiel hat der Elektrohersteller Gorenje entwickelt: einen Herd mit einer wechselfarbig beleuchteten Front. Je nachdem, was der Koch gerade brät und welche Temperatur er eingestellt hat, verändert sich die Farbe. Das wirkt sich auf seine Stimmung aus.

Und hinter dem Trend Super-Sicherheit?

Dieser Trend kommt aus einem sehr negativen Grundgefühl, nämlich der Angst. Die Menschen haben Angst vor Arbeitslosigkeit und Geldmangel, vor Kriminalität, vor Naturkatastrophen, Gewalt oder vor Amokläufen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist dieses Angstniveau noch mal angestiegen. Hersteller haben sich auf vielfältige Weise und auf verschiedenen Ebenen darauf eingestellt und bieten mehr Produkte an, die den Menschen ein Gefühl der Sicherheit verleihen. In den USA etwa gibt es Kinder-Armbänder mit Überwachungssystemen. Die brummen, wenn sich das Kind aus einem bestimmten Radius herausbewegt. Mehrmals am Tag können Erwachsene eine Still-alive-Taste drücken, um sich zu vergewissern, dass ihr Kind wohlbehalten ist. Der Werbeslogan wiederum vermittelt eine positive Botschaft: Give your Kids Freedom (gib’ deinem Kind Freiheit). Die Angst, die hinter dem Kauf des Produkts steckt, wird mit der Gewährung von Unabhängigkeit ins Positive gelenkt. Damit verblasst die Angst davor, überwacht zu werden.

Beispiel Nokia: Die Schweden haben einen Prototyp von einem Handy entwickelt. Geht der Besitzer an einem Filmplakat vorbei und hält das Gerät dran, kann er gleich im nächsten Kino Karten für den Film vorbestellen. Ein weiteres Beispiel ist das Google- Handy G1: Es liest einen Buch-Strichcode aus und nennt dann Preis und nächste Einkaufsmöglichkeit. „Die Sehnsucht nach Supersicherheit lässt unsere Vorbehalte in Bezug auf die elektronische Standortbestimmung schwinden“, erklärt Corinna Langwieser diesen Trend. Noch ein Beispiel: In Australien wird ein Babystrampler angeboten, dessen Farbe sich mit der Temperatur des Kindes ändert. Dieses Produkt trifft gleich zwei Trends: den zur Super-Sicherheit und das Mood Manufactoring. Dem Sicherheitsbedürfnis begegnen wir auch im Internet. Weil sie ihren Ärzten misstrauen und ganz persönliche Hilfe suchen, stellen Menschen freiwillig ganze Krankenakten ins Netz, obwohl sie damit viele persönliche Daten publizieren.

Der Trend geht auch zu Neo-Urbanismus.

Mit dem Trend zurück in die Stadt verringert sich die Zahl der Business-Nomaden, also der Menschen, die für den Beruf weite Strecken zurücklegen müssen. Dadurch ändert sich wiederum das Mobilitätsverhalten. Die Haushalte werden ein statt zwei Autos haben und sich mehr an Carsharing- Modellen beteiligen. Es werden weitere Modelle von Carsharing entstehen. Was ist unter Ich-Werte-Konsum zu verstehen? Der ethisch motivierte Gut-Konsum erreicht eine neue Ebene: Stärker als jetzt sucht der Käufer nach einem persönlichen Vorteil, etwa, indem er durch Konsum direkt Teilhaber an einem Entwicklungsprojekt wird. Ein weiteres Beispiel: Ein Hotel bietet seinen Gästen 50-prozentigen Rabatt auf die Übernachtungspreise, wenn sie sechs Stunden lang im Betrieb mitarbeiten. Hier gewinnen beide Seiten.

Wie wirken sich die Trends auf Herstellung und Handel aus?

Hersteller müssen sich fragen: Wen will ich ansprechen? Dazu kommt: In welchem Segment befinde ich mich? Im Lebensmitteleinzelhandel hat man das bereits heute ganz gut umgesetzt: Supermärkte, die sich büronah in Innenstadtlagen befinden, haben ein ganz anderes Sortiment als ein Vorstadtgeschäft unter dem gleichen Label. In der City etwa ist der Convenience-Anteil größer, also der Anteil an Fertigprodukten. Denn man muss viel stärker die Bedürfnisse der Menschen befriedigen, die in der Innenstadt arbeiten und nur kurz Zeit für eine Esspause haben.

Wie entwickelt sich der Gesundheitsmarkt?

Gesundheit wird immer ernster genommen und stärker auf die persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten. Der große Treiber hinter diesem Trend ist die Gesundheitsindustrie. Fakt ist, dass nicht mehr alles finanziert werden kann. Gleichzeitig sind die Menschen aber zunehmend bereit, aus eigener Tasche in ihre Gesundheit zu investieren. Der erste, beitragsfinanzierte Gesundheitsmarkt und der zweite, den wir selbst bestreiten, werden sich einander annähern. Der zweite Gesundheitsmarkt, der häufig noch mit dem Wellnesbegriff verbunden wird, muss lernen, dass er authentisch und auch medizinischer sein muss. Die Krankenkassen wiederummüssen lernen, dass sieam Markt vorbeigehen, wenn sie sich nicht an den Kunden orientieren. Dabei muss man die Kunden auf seriöse Weise unterstützen. Sonst fallen sie auf Scharlatane herein, die fragwürdige Leistungen für ihr Geld erbringen.

Ist Konsum eine Frage des Geldes oder eine Frage der Einstellung?

Beides. Vor zehn Jahren ging der Trend dahin, dass die breite Mitte der Qualitätsanbieter aussterben wird und es nur noch den Luxus- und den Billigbereich gibt. Das ändert sich gerade wieder. Eine Marke wie H&M etwa ist längst nicht mehr nur billig, aber auch nicht Haute Couture. Es gibt andere, die den Billigmarkt abgraben. H&M hingegen ist Mainstream: Fast jeder kann dort kaufen, quer durch alle Altersgruppen, die Jüngere ebenso wie die Schwangere und die Mittvierzigerin. Die Vielseitigkeit und der Trend zur Mitte drücken sich auch im Einkaufsverhalten der Verbraucher aus: Der Luxuskonsument kann auch mal beim Discounter einkaufen. Derjenige, der auf jeden Cent achten muss, wird sich hin und wieder ein Markenprodukt leisten.

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