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"Deutsches Ärzteblatt": Die wichtigsten Gesundheitstrends der Zukunft
Das Gesundheitssystem steht vor einer Reform. Politik, Ärztevertreter und Kassen streiten um Lösungen. Gleichzeitig ist das Thema Gesundheit öffentlich präsent wie selten. Der Patient wird aktiv – und ist bereit, in sein Wohlbefinden zu investieren. Die Gesundheit ist neben der Familie der Deutschen höchstes Gut. Übereinstimmend geben Menschen bei Erhebungen „Gesundheit“ an, wenn sie nach den wichtigsten Dingen im Leben befragt werden. Nie mehr krank zu sein, bezeichneten 27 Prozent in einer Emnid-Umfrage im vergangenen Jahr gar als einen „paradiesischen Zustand“. Gleichzeitig ist den Bürgern jedoch bewusst geworden, dass sie für ihre Gesundheit selbst etwas tun müssen: „Die Patienten haben verstanden, dass die Kassen leer sind, und sie sind bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Trendforscherin Corinna Langwieser.

Wie Gesundheit aussehen soll, weiß der Patient von heute auch genau: Der Deutsche definiert gesund als persönliches Wohlgefühl, Abwesenheit von Krankheit, Fitness und Schönheit. Dazu ist er informiert wie nie: Gerade das Internet gewinnt in Gesundheitsfragen immer mehr an Bedeutung. Patienten informieren sich vor dem Arztbesuch über ihre Symptome – und befassen sich danach intensiv mit der Diagnose des Arztes.

Die Trendforschung beschreibt den Bewusstseinswandel im Gesundheitssektor bereits seit einigen Jahren. Doch noch nie sei dieser so deutlich gewesen wie heute, meint die auf die Gesundheitsbranche spezialisierte Diplom-Kommunikationswirtin Langwieser. Es sei „die Idee durchgesickert, dass es Spaß machen kann, sich um seinen Körper zu kümmern“. Bei einer Fachtagung des Bundesverbandes Managed Care in Berlin riet sie den Akteuren im Gesundheitswesen deshalb, die „Aufbruchstimmung im Gesundheitswesen zu nutzen“ – unabhängig davon, wie sie einzelne Entwicklungen, wie etwa die steigende Neigung zur Schönheitschirurgie, bewerteten. Denn: Die Patienten seien nicht nur aufgeklärter und williger, sich mit ihrer Gesundheit zu befassen, sie seien auch bereit, in ihre Gesundheit zu investieren.

„Zwei Drittel der Deutschen meinen, dass es 2020 normal sein wird, für Leistungen außerhalb der Grundversorgung zu zahlen“, erklärt Langwieser. Schon heute wären 52 Prozent der Deutschen IGeL-Leistungen angeboten worden, oder sie hätten selbst danach gefragt. Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt: Die Deutschen zahlen mehr für private Gesundheitsleistungen als Bürger anderer europäischer Länder: Einer Zusammenstellung des Internetportals Imedo zufolge geben sie vier Prozent ihres Einkommens für ihre Gesundheit aus. Der europäische Durchschnitt liegt bei 3,6 Prozent.

Die deutsche Gesundheitswirtschaft ist in den vergangenen Jahren zu einer Schlüsselbranche geworden. Sie verzeichnete 2008 einen Umsatz von 260 Milliarden Euro und ist damit einer der größten Wirtschaftszweige in Deutschland. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie arbeiten in der Branche 4,4 Millionen Menschen. Einer vom Ministerium in Auftrag gegebenen Studie zufolge könne der Anteil der Gesundheitswirtschaft am Bruttoinlandsprodukt bis 2020 von heute etwa zehn auf fast 13 Prozent wachsen. Das stetig zunehmende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung wird dabei als ein treibender Faktor dieser Dynamik genannt. Sorgen, der Arztberuf könne aufgrund dieser Entwicklungen an Wertigkeit verlieren, teilt Langwieser nicht. Im Gegenteil: Der Arzt nehme weiterhin eine herausragende Stellung ein. „Er bleibt für die Patienten der Fachmann für das persönliche Wohlgefühl. An seiner Kompetenz wird nicht gezweifelt.“ Dem Behandler falle heute viel mehr eine noch größere Verantwortung zu, die Patienten aufzuklären und ihnen Orientierung zu geben.

Langwieser rät, die Augen vor den Veränderungen nicht zu verschließen: „Man kann das Rad nicht zurückdrehen und muss sich mit den Bedürfnissen der Patienten auseinandersetzen.“ Wenn der erste und der zweite Gesundheitsmarkt (etwa freiwillige ärztliche Leistungen, freiverkäufliche Arzneimittel, Wellness, Biolebensmittel) ihre Potenziale besser verschmelzen würden, könne der Pessimismus einem neuen Optimismus weichen.
■ Nora Schmitt-Sausen

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 7 | 19. Februar 2010 A 265

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