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Krimi-Reisen: Der Büchertourist entdeckt das Grauen
Der Büchertourismus ist ein altbekanntes Phänomen. Schon Goethes „Italienische Reise“ hat das gutgestellte Bildungsbürgertum zur Nachahmung animiert, heute bieten Reiseveranstalter Touren auf Kafkas, Heines oder neuerdings auch Uwe Tellkamps Spuren an („Reise zur blauen Stadt“). Doch die Krimi-Reise will noch mehr: Sie entführt die Leser von Kriminalromanen an die Originalschauplätze, um die starken Emotionen, die beim Lesen entstehen, noch einmal im Urlaub nacherlebbar zu machen. Bislang unbedeutende Orte lassen sich so in touristische Hotspots verwandeln.

Krimi-Reisen kultivieren den Topos des geheimen Ortes und bilden für die Zukunft eine potente Wachstumsnische.

Reisen an Unorte
Das Städtchen Forks im US-Bundesstaat Washington ist Schauplatz von Stephenie Meyers Twilight-Vampir-Saga. „Ich hatte im Internet nach dem regenreichsten Ort der USA gesucht, weil nur da meine Vampire leben könnten“, erklärte die Autorin in einem Interview ihre Wahl. Die Handelskammer hat nun detaillierte Stadtpläne auflegen lassen, in denen die Häuser der Figuren eingezeichnet sind, an den Straßen weisen Schilder auf Schauplätze des Romans hin, als seien es historische Stätten. Bei Sully’s Drive-In gibt es den Bella Burger, benannt nach dem Vampir Edward Bella, im Drugstore das Twilight Kühlschrankmagnetset und im Souvenirshop Steine der abgerissenen Forks High School, die eine zentrale Rolle in der Geschichte spielt – für 99 US $ das Stück.

Krimi-Reisen in den Themenpark
In Bezug auf das Merchandising steht man diesem Engangement in der „Wizarding World of Harry Potter“ in nichts nach. Und doch gibt es einen entscheidenen Unterschied: Die meisten Schauplätze der Harry Potter Erfolgsstory sind schlichtweg ausgedacht, weswegen man sie zu touristischen Zwecken erst einmal aufbauen musste. Auf dem Gelände der Universal’s Islands of Adventure in Orlando ist das geschehen. Täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr lassen sich hier die Abenteuer von Harry Potter nachempfinden – zu einem Preis ab 82 US$ und inklusive eines fiktiven Ritts auf einem Besen.

Weitere Genre-Reisen erweitern das Angebot
Neben den Gruselgeschichten bieten sich auch Liebesstories und Selbsterfahrungs-Trips für die touristische Erschließung an. Der Reiseveranstalter SpiritQuestTours.com etwa hat gerade ein „Eat Pray Love“-Reisepaket geschnürt, dass die Urlauber(innen) an die Originalschauplätze in Bali führt, die im Millionenbestseller der Autorin Elizabeth Gilbert vorgestellt werden – sogar der Besuch bei dem im Buch präsentierten spirituellen Heiler Ketut Liyer ist dabei vorgesehen. Im sächsischen Freiberg gibt es Stadtrundgänge auf den Spuren der mittelalterlichen Hebamme Marthe aus den historischen Romanen von Sabine Ebert (www.sabine-ebert.de). Und die britische Autorin Rosamunde Pilcher hat mit ihren Büchern so viele Touristen nach Cornwall gelockt, dass sie für ihre Verdienste bereits mit dem British Tourism Award ausgezeichnet wurde.

Trend Learnings: Unter den Literatur-Reisen bilden die Krimi-Reisen eine ganz besondere Sparte. Orte in the middle of nowhere werden zu attraktiven Tourismuszielen, wenn sie erst einmal Schauplatz einer Erfolgsgeschichte waren. In Zukunft werden wir erleben, dass die Verbindung aus Literatur und Reise weiter professionalisert wird. Die Schriftstellerin Anne Fortier verortet in ihrem bereits verfilmten Roman „Julia“ das Drama um Romeo und Julia im italienischen Siena und liefert die Anleitung zum Büchertourismus durch detaillierte Ortsbeschreibungen und Karten gleich mit.

Hintergrund-Wissen: Aus Krimis fürs Leben lernen
Den Erkenntnissen von Psychologen der University of Illinois zu Folge lesen Frauen am liebsten realitätsbasierte Kriminalromane, in denen genau geschildert wird, welchen Trick das Opfer angewendet hat, um zu entkommen. Aus den Ergebnissen schließen die Wissenschaftler, dass Frauen insgesamt mehr Angst vor Übergriffen und Gewalt haben als Männer, weil sie in der Regel dem männlichen Geschlecht körperlich unterlegen sind. Krimilesen ist also nicht nur Vergnügen am Nervenkitzel sondern auch eine Form des Selbstschutzes. Frauen begreifen die Lektüre als notwendiges Überlebenstraining, der Besuch von Krimischauplätzen verankert diese Erfahrungen zusätzlich.

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